Krankheit im Arbeitsverhältnis

In den ersten 6 Wochen einer Krankheit besteht grundsätzlich ein Lohnanspruch des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber.

Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger dauert, entfällt dieser Anspruch - es sei denn, die Leistungsverhinderung beruht auf einer anderen Krankheit.

Legt also der Arbeitnehmer dar, dass nicht die alte Krankheit fortbesteht, sondern eine neue vorliegt, muss der Arbeitgeber weitere 6 Wochen den Lohn zahlen.

Im Anschluss entsteht der maximal 78 Wochen dauernde Anspruch auf Krankengeld gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse des Mitarbeiters.

Das muss der Arbeitnehmer tun, wenn er nach 6 Wochen eine neue Krankheit darlegen möchte:

1. Stufe: Der Beschäftigte muss eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die grundsätzlich vom vorherigen Arzt ausgestellt wurde.

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass eine Erstbescheinigung von einem anderen Arzt grundsätzlich keinen Darlegungswert darüber hat, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt.

Eine ärztliche Bescheinigung genügt in erster Linie. Jedoch kann der Arbeitgeber beanstanden, dass eine neue Krankheit besteht. Dann kommt es zur zweiten Stufe.

2. Stufe: Wenn der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit bestreitet, muss der Angestellte zwei Darlegungspflichten erfüllen:

a) Umfassender substantiierter Vortrag:

,,Das heißt er muss bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und

b) die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.“

3. Konsequenzen

Falls der Beschäftigte diesen Pflichten nicht nachkommt, wird eine Fortsetzungserkrankung angenommen und er verliert seinen Lohnfortzahlungsanspruch bei längerer Arbeitsverhinderung als 6 Wochen.

Aus dem maßgeblichen Zeitraum lässt sich Folgendes herleiten:

Wenn jemand in den letzten 12 Monaten insgesamt bereits sechs Wochen arbeitsunfähig war, außer er war in den letzten 6 Monaten gar nicht mehr krank, kann nun der Arbeitgeber pauschal, trotz Vorliegen von ordnungsgemäßen ärztlichen Bescheinigungen, das Bestehen einer neuen Krankheit bestreiten und damit die 2. Stufe auslösen. Um seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht zu verlieren, muss der Arbeitnehmer dann dies ernst nehmen und ordnungsgemäß reagieren.

Das betriebliche Einliederungsmanagement (kurz: bEM)

Besonders relevant ist das betriebliche Eingliederungsmanagement für eine krankheitsbedingte Kündigung. Eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte bEM kann gravierende Folgen für die Wirksamkeit der Kündigung haben. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte aufgeführt.

I. Beteiligte

Am bEM sind beteiligt der Arbeitgeber, der  Betriebs- oder Personalrat und die betroffene Person. Bei schwerbehinderten Menschen oder diesen Gleichgestellten muss die zuständige Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen werden. Erforderlichenfalls kann der Werks- oder Betriebsarzt dazugeholt werden. Zudem steht es dem Angestellten seit der Gesetzänderung 2021 frei, eine Vertrauensperson eigener Wahl (z.B. einen Rechtsanwalt) beizuziehen.

1.) Es besteht kein Betriebsrat, muss dennoch ein BEM durchgeführt werden?

Wenn keine betriebliche Interessenvertretung gebildet ist, muss diese selbstverständlich nicht am bEM beteiligt werden. Dennoch ist das bEM durchzuführen, nur eben ohne Betriebsrat.

II. Voraussetzungen der BEM und Durchführung

1.) Die 6-Wochen- und 6-Monate-Regel

War der der Angestellte innerhalb eines Jahres (also in den letzten 365 Tagen) länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, wird eine bEM erforderlich.

Dies gilt nicht in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses.

2.) Einberufen des Arbeitnehmers unter Beachtung der Hinweispflicht

Der Arbeitgeber ruft dann den Arbeitnehmer zu einem bEM. Dabei muss er auf die wichtigen Informationen über die bEM hinweisen: z.B.

  • Datenschutzrechtliches

  • Freiwilligkeit

  • Recht, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen

  • Sinn eines bEM

An die Hinweispflicht sind hohe Anforderungen gestellt. Z.B., ist die Datenschutzerklärung im Grunde in Ordnung, kann sie dennoch zur Unwirksamkeit der bEM führen, wenn sie zu weit geht. Damit entfaltet es negative Wirkungen für den Arbeitgeber im Kündigungsprozess (dazu unten).

3.) Zustimmung

Die Zustimmung des Beschäftigten ist unerlässlich. Wird diese nicht erteilt, entfällt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Ausnahme: die Hinweispflichten wurden nicht ordnungsgemäß erfüllt (s.o.). Dann wird die bEM noch nicht entbehrlich.

4.) Kleinbetrieb?

Ein bEM ist auch in Kleinbetrieben durchzuführen, in denen kein Kündigungsschutz besteht.

IV. Bedeutung im Kündigungsschutzprozess

1.) Mildere Maßnahme

Steht der Arbeitnehmer unter Kündigungsschutz, ist die Kündigung nur als ,,letztes Mittel“ zulässig; also nur dann, wenn mildere Maßnahmen nicht zumutbar sind.

Dabei ist die bloße Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements keine mildere Maßnahme. Vielmehr dient das bEM zur Findung einer solchen: z.B. Einrichtung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes oder die Versetzung auf einen. 

Der Arbeitgeber kann also im Prozess nicht vorbringen, er hätte als mildere Maßnahme ein bEM durchgeführt.

2.) Relevanz für die krankheitsbedingte Kündigung

Hat der Arbeitgeber ein erforderliches bEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt und den Beschäftigten krankheitsbedingt gekündigt gilt Folgendes.

a) Die Abwicklung eines BEM ist keine formelle oder materielle Voraussetzung für eine Kündigung. Das heißt, die Kündigung ist nicht automatisch unwirksam, nur weil kein bEM durchgeführt wurde.

b) Vielmehr schlägt es sich zulasten des Arbeitgebers auf die Verhältnismäßigkeit und die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Kündigung aus.

Demnach hat der Arbeitgeber, der die Durchführung eines ordnungsgemäßen bEM versäumt, darzulegen und zu beweisen, dass eine Kündigung auch durch eine betriebliches Eingliederungsmanagement nicht hätte verhindert werden können.

Dem genügt keine pauschale Behauptung, es bestehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für einen dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer. Vielmehr bedarf es eines umfassenden detaillierten Vortrags,

1. warum der Arbeitnehmer auf seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden kann 

2. warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist 

3. oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit arbeiten könne (BAG v. 12.7.2007 - 2 AZR 716/06). 

4. auch sonst keine Möglichkeit bestand, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden (BAG v. 21.11.2018 - 7 AZR 394/17, Rn 38; BAG v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13)

c) Demgegenüber, ist das bEM ordnungsgemäß durchgeführt worden, kann sich der Arbeitgeber pauschal auf die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit berufen. Dann muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass eigentlich Möglichkeiten bestanden haben.

BEM-Vereinbarung für Arbeitgeber

Die Kündigung wegen längerer Krankheit des Arbeitnehmers ist im Grunde eine personenbedingte Kündigung und damit möglich, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Allerdings ist es leichter gesagt als getan.

I. Die große Hürde: das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM)

Eine große Hürde ist das betriebliche Eingliederungsmanagement, das vor der Kündigung ordnungsgemäß durchzuführen ist. Genaueres dazu können Sie auf unserer Website lesen. Im Folgenden soll vielmehr die Gesamtproblematik veranschaulicht werden.

Gerade in der Einladung zum bEM ist sehr viel Präzision geboten. Diese muss die gesetzlichen Hinweispflichten erfüllen, die von Betrieb zu Betrieb leicht variieren können. Folgendes Beispiel darüber, wie sensibel die Gerichte sind: Zu den Hinweispflichten gehört unter anderem die Aufklärung über die erhobenen und verwendeten Daten. Nach dem Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.10.2021 (4 Sa 70/20) ist z.B. ein bEM auch dann ordnungswidrig, wenn in der Datenschutzerklärung von mehr Daten gesprochen wird, als notwendig gewesen wäre. In zu vielen Fällen haben Arbeitgeber auch den ganz einfachen Hinweis auf die Schwerbehindertenvertretung vergessen. Das wundert nicht, bei all der Quantität an Informationspflichten.

Ist die Einladung erfolgreich, empfehlen wir bei der Durchführung des bEM einen Gesprächsprotokoll zu führen, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Das Zwischenziel der bEM-Verhandlung ist der Eingliederungsplan. Dieser beinhaltet die verbindliche Vereinbarung, welche Maßnahmen jetzt konkret in der nächsten Zeit vorgesehen sind, um den Arbeitnehmer wieder arbeitsfähiger zu machen.

Achtung! Konnten die Maßnahmen die Arbeitsunfähigkeit nicht lindern, darf nicht sofort gekündigt werden. Es ist eine angemessene Zeit abzuwarten. Dagegen, wenn der Arbeitgeber ein Jahr nach dem bEM kündigen möchte, muss er, um wirksam kündigen zu dürfen, nochmal ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten. Welche Zeit in Ihrem Fall angemessen ist, sollten Sie ganz genau analysieren.

II. Folgen des Fehlers

Ein Fehler, wie klein dieser auch sein mag, führt in aller Regel zu einer unwirksamen Kündigung, an dessen Ende der Arbeitgeber die Gerichtskosten, den rückwirkenden Lohn und noch eine Abfindung zahlen darf, was nicht selten einen Betrag im fünfstelligen Bereich ausmacht.

III. Unsere Empfehlung

Wesentlich günstiger ist es, eine rechtssichere bEM-Vereinbarung im Betrieb als Betriebsvereinbarung zu haben. In diesem sind gesetzlich fehlerfreie Einladungen mit auch Datenschutzerklärungen, Muster-Gesprächsprotokolle und sonstige Abläufe enthalten. Das Unternehmen kann dann einfach nach dieser ,,Einleitung“ vorgehen und so auch für den Arbeitnehmer interessengerechte Lösungen finden.

Ist kein Betriebsrat vorhanden, empfehlen wir bei Betrieben ab zehn Mitarbeitern dennoch solche Muster-Vorgänge erstellen zu lassen, die in einer Vielzahl von Fällen sorgenfrei verwendet werden können.

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